Der EuGH hat entschieden, dass die in Deutschland von Privatpersonen erhobenen Klagen gegen den griechischen Staat wegen des Zwangsumtauschs ihrer Staatsanleihen nach der EU-Zustellungsverordnung an den griechischen Staat zugestellt werden können.
Die EU-Zustellungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1393/2007, ABl. L 324, 79) soll die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen verbessern und beschleunigen. So sieht die Verordnung u.a. die Verwendung von Formblättern sowie eine unmittelbare und schnellstmögliche Übermittlung zwischen den von den Mitgliedstaaten hierzu benannten Stellen vor. Sie bestimmt jedoch ausdrücklich, dass sie nicht die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte erfasst.
Das LG Wiesbaden und das LG Kiel möchten wissen, ob Klagen auf Entschädigung, auf Vertragserfüllung und auf Schadensersatz, die von privaten Anleiheinhabern gegen den emittierenden Staat erhoben worden sind, unter den Begriff "Zivil- oder Handelssachen" im Sinne der Verordnung fallen, so dass die Verordnung anwendbar ist.
Bei diesen Gerichten haben Inhaber griechischer Staatsanleihen, die in Deutschland wohnhaft sind, Klagen gegen den griechischen Staat erhoben. Sie machen geltend, dadurch geschädigt worden zu sein, dass Griechenland sie im März 2012 gezwungen habe, ihre Wertpapiere gegen neue Staatsanleihen mit einem erheblich niedrigeren Nominalwert zu tauschen. Griechenland hatte zur Bewältigung einer schweren Finanzkrise im Februar 2012 ein Gesetz (Gesetz Nr. 4050/2012) erlassen, das vorsah, dass die Inhaber bestimmter griechischer Staatsanleihen ein Umstrukturierungsangebot erhalten und dass in die betreffenden Emissionsverträge eine Umstrukturierungsklausel (auch unter der Bezeichnung "CAC"/collective action clause bekannt) aufgenommen wird, nach der eine Änderung der ursprünglichen Emissionsbedingungen der Wertpapiere mit qualifizierter Mehrheit des ausstehenden Kapitals beschlossen werden konnte (und diese Beschlüsse auch für die Minderheit galten). Keiner der Kläger nahm das vom griechischen Staat auf der Grundlage des Gesetzes unterbreitete Umtauschangebot an. Im Rahmen des Verfahrens zur Zustellung der Klagen an den griechischen Staat (als Beklagten) ist fraglich, ob sie Zivil- oder Handelssachen im Sinne der Verordnung betreffen (so dass die Zustellung auf der Grundlage der Verordnung durchgeführt werden könnte) oder eine staatliche Handlung oder Unterlassung im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte zum Gegenstand haben (so dass die Verordnung nicht anwendbar wäre).
Der EuGH hat entschieden, dass Klagen, wie sie in den Ausgangsverfahren von privaten Anleiheinhabern gegen den emittierenden Staat erhoben worden sind, in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, es sei denn, dass sie offenkundig keine Zivil- oder Handelssachen sind.
Nach Auffassung des EuGH kann speziell bei den beim LG Wiesbaden und beim LG Kiel erhobenen Klagen nicht davon ausgegangen werden, dass sie offenkundig keine Zivil- oder Handelssachen im Sinne der Verordnung betreffen. Daher sei die Verordnung auf sie anwendbar. Ein Gericht, das wie die beiden deutschen Gerichte vor der Frage der Anwendbarkeit der Verordnung steht, müsse sich auf eine erste Prüfung der ihm vorliegenden, notwendigerweise unvollständigen Informationen beschränken, um festzustellen, ob die bei ihm erhobene Klage zu den Zivil- oder Handelssachen gehöre oder zu einem Bereich, der nicht von der Verordnung erfasst werde. Dabei sei die Verordnung schon dann anwendbar, wenn das angerufene Gericht zu dem Schluss komme, dass es nicht offenkundig sei, dass die bei ihm erhobene Klage keine Zivil- oder Handelssache ist. Das Ergebnis dieser Prüfung könne selbstverständlich nicht den späteren Entscheidungen vorgreifen, die das angerufene Gericht insbesondere in Bezug auf seine eigene Zuständigkeit und die Begründetheit der Rechtssache zu treffen habe.
Die Emission von Anleihen setzten nicht notwendigerweise die Wahrnehmung von Befugnissen voraus, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abwichen. Zudem gehe aus den Akten nicht in offenkundiger Weise hervor, dass die finanziellen Bedingungen der betreffenden Wertpapiere einseitig vom griechischen Staat festgelegt worden wären und nicht auf der Grundlage der Marktbedingungen, die den Handel und die Rendite dieser Finanzinstrumente regelten. Es treffe zu, dass das in Rede stehende griechische Gesetz im Rahmen der Verwaltung der öffentlichen Finanzen und insbesondere der Umstrukturierung der öffentlichen Schulden ergangen sei, um eine schwere Finanzkrise zu bewältigen, und im Übrigen habe Griechenland zu diesem Zweck die Möglichkeit eines Umtauschs der Wertpapiere in die fraglichen Verträge aufgenommen.
Der Umstand, dass diese Möglichkeit durch ein Gesetz eingeführt wurde, sei als solcher nicht ausschlaggebend für den Schluss, dass der Staat seine hoheitlichen Rechte ausgeübt habe. Zum anderen sei nicht offenkundig, dass der Erlass des in Rede stehenden griechischen Gesetzes zu unmittelbaren und sofortigen Änderungen der finanziellen Bedingungen der betreffenden Wertpapiere geführt und somit den von den Privatpersonen geltend gemachten Schaden verursacht hätte. Diese Änderungen sollten nämlich im Anschluss an eine Entscheidung der Mehrheit der Anleiheinhaber auf der Grundlage der durch dieses Gesetz in die Emissionsverträge eingefügten Umtauschklausel erfolgen, was im Übrigen durch die Absicht des griechischen Staats bestätigt werde, die Verwaltung der Anleihen im zivilrechtlichen Rahmen fortzuführen.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 67/15 v. 11.06.2015
Rechtsanwalt Dimitrios Kouros, Düsseldorf