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Griechisches Auslieferungsersuchen 

Die Zulässigkeit von Auslieferungshaft nach Eingang eines Auslieferungsersuchens der Griechischen Republik setzt voraus, dass binnen angemessener Frist eine individuelle Zusicherung des ersuchenden Staates dahingehend vorliegt, dass die verfolgte Person für den Fall ihrer Inhaftierung in Griechenland durchgängig in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht wird, deren Standards den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 bzw. den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entsprechen und dort jederzeit von deutschen Konsularbeamten besucht werden darf. Abstrakt-generelle amtliche Erklärungen zu allgemeingültigen griechischen Strafvollzugsprinzipien genügen nicht. 

Gründe

1. Durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem und Übersendung eines Europäischen Haftbefehls, ausgestellt durch die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Athen am 3. Juli 2015 (Az.: FE 7399), ersuchen die Justizbehörden der Griechischen Republik um (Festnahme und) Auslieferung des griechischen Staatsangehörigen B. zum Zwecke der Strafverfolgung.

2. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart erließ der Senat im Zuge dessen am 15. Dezember 2015 einen Auslieferungshaftbefehl. Auf dieser Grundlage wurde der Verfolgte am 29. Dezember 2015 in S. festgenommen; er befindet sich seither in Auslieferungshaft in der JVA … .

II.

Die gemäß § 26 Abs. 1 S. 2 IRG spätestens zum 25. April 2016 vorzunehmende Haftprüfung ergibt, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Auslieferungshaft (§ 15 IRG) weiter vorliegen: Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird insoweit auf die in den Entscheidungen des Senats vom 15. Dezember 2015 (Auslieferungshaftbefehl) sowie 25. Februar 2016 (Haftprüfung) dargelegten Gründe Bezug genommen. Ergänzend hierzu ist (nunmehr) Folgendes zu bemerken: Zwar besteht weiter Fluchtgefahr; jedoch kann der Vollzug des Auslieferungshaftbefehls ausgesetzt werden, weil weniger einschneidende Maßnahmen (zwischenzeitlich) die Gewähr bieten, dass der Zweck der Auslieferungshaft auch durch sie erreicht wird (§ 25 Abs. 1 IRG); hierzu im Einzelnen:

1. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2015 (Az.: III-3 AR 15/15) hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (u. a.) entschieden, dass die Auslieferung eines im dortigen Verfahren Verfolgten „an die griechische Regierung“ zum Zwecke der Strafverfolgung unzulässig sei. Zur Begründung wurde u. a. Folgendes angeführt:

„Der Zulässigkeit der Auslieferung steht ein Auslieferungshindernis nach § 73 Satz 2 IRG i. V. m. Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union und Art. 3 MRK entgegen. Hiernach ist eine Auslieferung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union unzulässig, durch die gegen die in Art. 6 des EUVtr enthaltenen Grundsätze verstoßen würde. (…) Vorliegend besteht die Gefahr, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in Griechenland in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werden könnte, die europäischen Mindeststandards nicht genügt bzw. in der er einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. (…)“

Nach Bezugnahmen auf einen Bericht des Komitees des Europarates zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vom 16. Oktober 2014 sowie auf eine behördliche Auskunft des Auswärtigen Amts vom 12. März 2015 heißt es im bezeichneten Beschluss weiter wie folgt:

„Daher erscheint es nicht durchgehend gewährleistet, dass die Haftbedingungen den Anforderungen der MRK bzw. den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen der Vereinten Nationen (vom 13. Mai 1977) und/oder den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entsprechen. (…) Diese aus dem allgemein desolaten Zustand des griechischen Gefängnissystems sich ergebenden Bedenken des Senats konnten durch die Erklärung des griechischen Ministeriums für Justiz (…) nicht entkräftet werden. (…) Die konkret bestehende Gefahr, dass der Verfolgte in Griechenland menschenrechtswidrigen Haftbedingungen ausgesetzt sein könnte, schließt seine Auslieferung aus. (…)“

2. Anknüpfend hieran hat der Senat bei der Generalstaatsanwaltschaft angeregt, die ersuchende Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Athen um Abgabe einer Zusicherung dahingehend zu bitten, dass der Verfolgte für den Fall seiner Auslieferung an die Griechische Republik in einer Haftanstalt untergebracht wird, in der durchgehend gewährleistet ist, dass die Haftbedingungen den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 bzw. den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entsprechen. Darüber hinausgehend hat der Senat mit Beschluss vom 11. Januar 2016 das Auswärtige Amt um amtliche Stellungnahmen zu (dort vorliegenden) Erkenntnissen über aktuell gegebene Haftbedingungen im griechischen Strafvollzug und ggf. damit einhergehende Unzulänglichkeiten/Defizite im Hinblick auf die Vorgaben in den bezeichneten europäischen Übereinkommen ersucht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin mit Schreiben vom 12. Januar 2016 bei der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Athen um ergänzende Informationen gebeten; unter Bezugnahme auf die in Rede stehende Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf wurde darin insbesondere um eine „ausdrückliche Zusicherung“ dahingehend ersucht, dass der Verfolgte für den Fall seiner Auslieferung in einer griechischen Haftanstalt untergebracht wird, die den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 bzw. den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspricht. Mit Schreiben vom 9. Februar 2016 wurde seitens der griechischen Strafverfolgungsbehörde bestätigt, dass die Anfrage an die „zuständige Abteilung des (…) Ministeriums für Justiz, Transparenz und Menschenrechte übermittelt“ worden sei. Am 10. März 2016 wurde dem Senat ein Schreiben des bezeichneten Ministeriums vorgelegt, in dem unter dem Datum „8.2.2016“ (u. a.) Folgendes mitgeteilt wurde:

„Das Ministerium für Justiz, Transparenz und Menschenrechte wird die betroffene Person in einem Haftraum in einer Weise und unter Haftbedingungen unterbringen (…), welche seine Würde und seine Menschenrechte schützen. Das Folterverbot ist in der griechischen Verfassung verankert. Die Folterung einer Person ist (…) mit Strafe bedroht. Ferner hat Griechenland die Konventionen für die Menschenrechte und gegen Folter (…) unterzeichnet und es beachtet diese und ist daran gebunden. (…) Demnach werden alle Gefangene mit Respekt vor ihren Rechten als Menschen und Gefangene behandelt (…)“.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Athen mit Schreiben vom 8. März 2016 unter ausdrücklichem Hinweis auf den anstehenden Haftprüfungstermin am 25. April 2016 dahingehend informiert, dass die entsprechende ministerielle Erklärung keine ausreichende Zusicherung bezüglich der Haftunterbringung des Verfolgten in Griechenland beinhalte. Ferner wurde deutlich gemacht, dass eine vergleichbare Erklärung (bereits) vom Oberlandesgericht Düsseldorf nicht akzeptiert worden sei. Notwendig sei vielmehr eine individuelle, auf den Verfolgten bezogene Zusicherung, in der die Haftbedingungen konkret und überprüfbar dargestellt werden.

Am 14. April 2016 wurde der Generalstaatsanwaltschaft daraufhin ein Schreiben vom 6. April 2016 zugeleitet, in welchem das (griechische) Justizministerium erklärt, dass es bei den (bereits) erteilten „Zusicherungen“ verbleibe.

Eine (Behörden-) Erklärung des Auswärtigen Amts steht derzeit noch aus.

3. Bei diesen Gegebenheiten ist das Vorliegen eines der Auslieferung des Verfolgten entgegenstehenden Hindernisses im Sinne von § 73 S. 2 IRG i. V. m. Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union und Art. 3 MRK zwar (noch) nicht endgültig (zwingend) anzunehmen; die (bislang) fehlende Abgabe der - mehrfach erbetenen - individuellen Zusicherung zur Frage der Gewährleistung einer konventionskonformen Inhaftierung des Verfolgten in Griechenland hat jedoch vor dem Hintergrund der beschriebenen (Vor-) Erkenntnislage zu den allgemeinen (Haft-) Bedingungen im griechischen Strafvollzug bestehende Zweifel an der Zulässigkeit einer Auslieferung verdichtet und die Wahrscheinlichkeit, dass das in Rede stehende (Auslieferungs-) Ersuchen nicht bewilligt werden kann, weil die entsprechende Leistung von Rechtshilfe wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widerspricht, erhöht. Korrespondierend dazu ist die (fortbestehende) Fluchtgefahr (nunmehr) so vermindert, dass weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen, den Zweck der Auslieferungshaft sicherzustellen. Mit dieser Maßgabe bleibt die Aufrechterhaltung des (außer Vollzug gesetzten) Auslieferungshaftbefehls zur Sicherstellung der weiteren Anwesenheit des Verfolgten im Auslieferungsverfahren und verlässlichen Gewährleistung der durch den Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 begründeten grundsätzlichen Auslieferungspflicht der Bundesrepublik Deutschland geboten.

4. Im Hinblick auf den weiteren Verfahrensgang ersucht der Senat die Generalstaatsanwaltschaft, die verantwortlichen griechischen Strafverfolgungsbehörden auf dem offiziellen Geschäftsweg (nochmals) unter Mitteilung der unter Nr. 5 des Tenors genannten Frist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die in Rede stehende Auslieferung als unzulässig beurteilt werden kann, falls eine individuelle Zusicherung dahingehend, dass der Verfolgte für den Fall seiner Auslieferung nach Griechenland durchgängig in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht wird, deren Standards den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 bzw. den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entsprechen und dort jederzeit von deutschen Konsularbeamten besucht werden darf, nicht (zeitnah) vorliegen sollte.

( OLG Stuttgart - 1. Strafsenat Az. 1 Ausl 321/15; vgl. OLG Düsseldorf, 14. Dezember 2015, Az: III-3 AR 15/15)

RA Kouros, Düsseldorf